EIN ARTIKEL VON VON JOCHEN RÄDEKER

20.02.2010 | 19:05 |  von Jochen Rädeker (Die Presse)

Raus aus der Krise

Wer viel wirbt, gewinnt nicht zwangsläufig an Wert. Gutes Design macht Werbung überflüssig.
Die Krise ist eine schlechte Sache. In einer Krise werden selbstverständliche Dinge – das Wachstum des Aktiendepots, der nächste Jahreswagen, der Urlaub auf Malle – zu einer unsicheren Sache. Das macht den Leuten Angst. Angst führt zum Blackout. Das ist schlecht. Oder aber, es gibt einem jemand Halt. Das ist besser. Allerdings muss, wer Halt gibt, Haltung haben. Und die setzt verlässliche Werte voraus. Die geben uns Sicherheit. Erst dann können wir wieder über Markenwerte und Wertsteigerung nachdenken. Davon leben wir in der Marktwirtschaft, es sei denn, wir sind Investmentbanker, dann leben wir auch vom Gegenteil. Wertsteigerung, so lehrt es das Marketing, wird durch Werbung erreicht. Nur: Das war vor der Krise. Werbung, das ist gekaufte Information, ist smarte Übertreibung. Aber vertrauensfördernd? Wertorientiert? Wertsteigernd? Fragen wir die Fachleute: Jährlich veröffentlichen „Financial Times“ und „Business Week“ Ranglisten der wertvollsten Marken. Vergleicht man diese mit den Werbeausgaben, kommt Erstaunliches zutage: Von den 30 wertvollsten Marken der Welt tauchen gerade mal fünf unter den 30 größten Werbetreibenden auf. Die einzige Marke, die ihr Werbebudget signifikant erhöht hat, nämlich Microsoft, ist diejenige mit dem geringsten Wachstum im Markenwert. Merke also: Wer viel wirbt, gewinnt nicht an Wert. Gute Nachrichten für alle krisengeschüttelten Marketingleiter. Glauben Sie der Statistik, geben Sie keinen Cent mehr für Werbung aus: Es ist rausgeschmissenes Geld. Wohin aber dann mit Ihrem gerupften Budget? Die siegreichen Marken haben die Antwort: Im Fahrzeugmarkt meldet Audi die besten Zahlen. Warum? Weil Audi konsequent auf Design fokussiert. Im Technologiesektor ist Apple die Marke mit dem größten Wachstumspotenzial. Warum? Wegen des Designfaktors. Die am stärksten an Wert gewinnende Modemarke ist H&M, weil für die Kollektionen Stardesigner gewonnen werden. Sie merken: Gutes Design macht schlechte Werbung überflüssig. Davon haben alle etwas: Die Verbraucher, die Form und Funktion statt Firlefanz bekommen. Die Unternehmen, die in Design investieren statt in Mediakosten. Die Werbeagenturen, die hektisch Designableger gründen. Und die Designer, die es immer schon wussten. Die Krise ist doch eine gute Sache. Jochen Rädeker ist Vorstandssprecher des Art Directors Club Deutschland (www.adc.de) und Geschäftsführer der Agentur Strichpunk
(www.strichpunkt-design.de).
(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 21.02.2010)